Nadja Ayoub, 2025
Eröffnungsrede zur Ausstellung "auf- und abtragen" am 15.5.2025
Werkbezug: Bleiglanz, Durchgekaut, Einschnitte, Abgetreten, Auf eigenen Beinen stehen
Der Titel "auf- und abtragen" könnte auf die Geschichte des Schwazer Bergbaus hinweisen. Und tatsächlich führt dies nicht zu einem Irrweg, aber ganz so offensichtlich und einfach lässt es sich dann doch wieder nicht verbinden.
Es gibt einige Verweise wie die Farbe gekauter Kaugummis, die dem Silber am nächsten kommen, oder das Wort Abtragen, welches sich ins Vokabular dieser Stadt eingebrannt hat und das bis heute Teil einer identitätsstiftenden Sprache aus längst vergangenen Zeiten zu sein scheint.
Betrachten wir es so, kratzen wir nur an einer äußeren, wenn auch naheliegenden Oberfläche. Betrachten wir aber das Auf- und Abtragen als einfachen, klar strukturierten Handlungsablauf, als immer wiederkehrende Ausführung, deren Ergebnis nur Zeugnis der eigentlichen Handlung ablegt, als Spur oder Rest, so kommen wir der Sache schon etwas näher.
Wenn wir die Praxis von Angelika Wischermann in aller Kürze umreißen müssten, so wäre die Bezeichnung: Handlungssequenzforscherin wohl am zutreffendsten. Sie stellt nicht nur das Konzept Zeit in Frage, sondern bietet uns in ihren Arbeiten Reflexionsräume, innerhalb derer sie auf performative Weise das Miteinander zwischen Menschen, Körper und Umwelt erforscht. Wir finden sehr oft Aneinanderreihungen und Wiederholungen einer Tätigkeit oder eines Handlungsablaufs, welche ad absurdum geführt werden. Die alltäglichen Gegenstände nehmen ihre eigentliche Benützung vorweg. Ein Küchenbrett ist zum Schneiden da. Ein Fußabstreifer zum Füße Abstreifen.
Der Wiederholung liegt die Dauer zugrunde, die in Angelikas Arbeiten eingeschrieben ist – nicht die Zeit. Anders als die Zeit ist die Dauer flexibel, kann unendlich wiederholt und fortgeführt werden, kann pausieren, wenn sie mag. Es ist die Dauer, die das Durchhalten hier nicht nur als eine angenehme Begleitung, sondern auch als eine notwendige erscheinen lässt. Die Dauer, die hier kein zu erbetendes Geschenk ist, sie ist mehr das Ergebnis, ein Zustand, der sich erreichen lässt. Sie schließt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit ein und lässt noch Spielraum für alles, was dazwischen liegt. Sie zeigt sich in der Abnützung, im Abtragen und im Hinzufügen. Jede Arbeit, die Ihr hier seht, verkörpert diese Dauer. Es ist das Abtragen einer Schicht, seien es Fußspuren auf einem Fußabstreifer, oder die Einkerbungen und Schnittstellen an einfachen Küchenbrettern. Es ist das Sitzen auf einem Stuhl, während mit einer Feile seiner Stabilität sorgfältig entgegengewirkt wird, bis er seiner Funktion vollständig entfremdet wird. Es ist das zum Beinahe-Kokon werden in einem dreistündigen körperlichen Eindrehungsverfahren.
Flüsse und Gletscher können Gesteine und Sedimente abtragen, die Form in einem fließenden Fortlaufen, in einer fließenden Dauer verändern, unberechenbar. Angelika Wischermann hingegen initiiert Transformationsprozesse und rückt die Spuren der Dauer ins Zentrum ihrer Arbeiten. Während die Arbeiten im Eingangsbereich und im hinteren Raum bereits abgeschlossen sind, befinden wir uns im großen Raum inmitten einer solchen performativen Wiederholung, die sich bis zum Ausstellungsende Anfang August durchziehen wird.
Ein Dutzend Sockel, mit einem Dutzend Gläsern, wovon nur eines befüllt ist, mit den Überresten von Bleistiftspänen. Georgia Holz hat es in ihrem wunderbaren Text für die Ausstellung als poetische Setzung bezeichnet – die Arbeit Bleiglanz – sie vereint das Auf- und das Abtragen in gleicher Weise. Wie in einem Archiv werden hier die Reste und Spuren einer Handlung – akribisch dokumentiert, aufgelistet, nummeriert.
An einer Wand ist eine Kaltnadelradierung zu sehen. Sie zeigt die Künstlerin beim Bemalen von Steinen und nimmt die eigentliche Handlung als Aufklärung vorweg. Übrig bleiben die Späne und jede Woche wird ein neues Glas befüllt, mit neuen Koordinaten, denen Ihr auch gerne folgen dürft, um die bemalten Steine in der Natur zu sehen.
Liebe Angelika, Ich bedanke mich bei Dir für die wunderbare Zusammenarbeit, dafür, dass die Frage nach dem „Warum“ im Kleinen und im Langsamen immer wieder eine spannende sein kann.
Fotos © Aslan Kudrnofsky und Angelika Wischermann