Keine Zeit zur Eile

Diez, Ute, 2017

Eröffnungsrede im Kunstraum B

Werkbezug: Wochenstand

Herzlich Willkommen zur aktuellen Ausstellung. Herzlich Willkommen zu einem neuen Kunst-Battle.

Bleibt uns Zeit zur Eile? „Ja, klar! Äh. Nein. Natürlich nicht.“ Geht es in meinem Kopf umher, wenn ich dies lese. Vielleicht hilft uns die Betrachtung der hier gezeigten Arbeiten, einen Zugang zum Verständnis dieser Frage zu finden. Starten wir mit Sören Kierkegaard, der dereinst postulierte: „Nicht einmal die Büchse der Pandora könnte so viele Unglücksfälle und so viel Elend enthalten, als sich in dem kleinen Wort verbirgt: die Forderung der Zeit.“ Fast 1800 Jahre nach der griechischen Lehre der Stoa enthält dieses Zitat viel von den dortigen Ausführungen zum Thema Zeit. Und „stoisch“ ist auch eines der ersten Worte, das mir bei der Auseinandersetzung mit den Werken der beiden Künstlerinnen in den Sinn kommt. Die eine, Angelika Wischermann, machte ihren Bachelor in Bildhauerei an der Muthesius Kunsthochschule, studierte dann bei Erwin Wurm in Wien und diplomierte eben dort bei Martin Walde 2013, arbeitet in den Bereichen Performance, Video, Installation, Objekt. Die andere, Susanne Nothdurft, studierte auch zunächst an der Muthesius Kunsthochschule bei Peter Nagel und Birgit Jensen, ging dann als Meisterschülerin an die UDK nach Berlin zu Karl-Heinz Herrfurth. Obwohl bekennende Malerin, arbeitet sie oft mit verschiedenen Medien. Das Thema bleibt dabei jedoch immer gleich.

Was sehen wir?

Susanne Nothdurft zeigt uns 5 Arbeiten, die sie thematisch für diese Ausstellung ausgewählt hat. Wir erkennen in allen die Form, die in Relation zu Fläche und Raum gesetzt wird. Die Künstlerin setzt uns visuell begründbaren Erfahrungen aus, die einer seriellen Abfolge zu Grunde liegen. Wir beginnen mit der ältesten, der Spule, die aus zwei Metallplatten besteht, in die sie 1200 Löcher von Hand gebohrt und die sie dann mittels Fäden miteinander verbunden hat. Diese Fäden wurden dann mit viel Geduld von innen nach außen bemalt. Gerne können Sie die Spule später bewegen und damit dem bemerkenswerten Flimmern, das dabei entsteht, begegnen.

Im kleinen Raum hängt eine weitere Arbeit, die inhaltlich in diese Werkreihe gebracht werden kann, und die Susanne selbst sinnigerweise „Siebdruck“ nennt. Das Serielle dabei ist jedoch nicht die Auflage, welche gar nicht existiert, da es nur dieses eine Exemplar gibt, sondern vielmehr die Schrittfolge, in der sie entstanden ist. Zählen Sie gerne die Farben, die jeweils einzeln aufgetragen wurden und vollziehen Sie somit nach, wie viele Arbeitsschritte von Nöten waren, um dieses Unikat entstehen zu lassen.

Außerdem zu sehen sind drei Holzarbeiten aus der Werkreihe „Moves“, deren Entstehung Susanne so beschreibt: Erst sägen und dann Form und Farbigkeit herausfinden und das Stück für Stück.

Schrittweise bewegt sich auch die Traumreisende, die uns in Angelika Wischermanns Video Oneironaut begegnet. Um unter Wasser zu atmen, muss sie sich langsam fortbewegen von mit Sauerstoff gefülltem Ballon zu Ballon. Immer wieder geht es der Künstlerin in ihren Arbeiten um einen Bezug zwischen Körper, Material und Raum. Wiederholung und zeitliche Dauer sind dabei Grundthemen, mit denen sie sich auseinandersetzt. Ein bisschen Wahnsinn, sagt sie selbst, sei in diesen Handlungen wohl enthalten.

Die Arbeit „Wochenstand“ bringt dies auf herrlich simple aber unglaublich ästhetische Weise zum Ausdruck. Wir sehen 7 Blätter, auf die eine chemische Lösung aufgetragen wurde und auf die sich Angelika jeweils sechs Stunden an 7 aufeinanderfolgenden Tagen gestellt hat. Durch die Technik der Cyanotypie wurden so mittels UV-Licht Abdrücke der 7 „Tagesstände“ hinterlassen. Die Unschärfen der Bilder entstehen durch minimalste Bewegungen der versuchten Bewegungslosigkeit.

Auf den ersten Blick könnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Doch sie selbst haben im Gespräch recht schnell einige für mich zentrale und nun in der Ausstellung auch in den Fokus gestellte Gemeinsamkeiten entdeckt.

Serialität: Susanne stellt Block für Block, Farbfläche für Farbfläche her und setzt diese dann zusammen. Bei Angelikas Arbeiten finden wir häufig eine Aneinanderreihung und Wiederholung einer Tätigkeit oder eines Handlungsablaufs.

Fortführbarkeit: Bei beiden ließen sich die Arbeiten immer weiter fortsetzen und ausdehnen. Sie sind zeitlich und räumlich erweiterbare Abfolgen.

Rhythmus: Beiden Arbeitsweisen liegt eine Dauerstruktur von Arbeitsschritten und Modulen zu Grunde. Diese Teilabschnitte verbinden sich im fertigen Werk zu einem Ganzen.

Zeit, Wiederholung, Dauer: Obwohl man immer dasselbe vollzieht, kommt nicht immer dasselbe heraus. Das erfahren die beiden fast täglich in ihrem Tun. Obwohl sich beide in ihren Handlungen immer wieder gewissen Regeln unterwerfen, bergen diese nur die scheinbare Sicherheit eines vorgezeichneten Weges, da das Ergebnis nicht planbar ist und jedes Mal ein Stück weit vom Vorherigen abweicht. Und damit eint sie eine gewisse Radikalität. Während Angelika auch schon mal einen Tauchkurs macht um eine Arbeit zu realisieren, streicht Susanne unter Umständen ein halb fertiges Bildobjekt komplett wieder über, wenn die Farbwelt ihrer Meinung nach nicht stimmt. Der Bruch zwischen einer vordergründigen Ästhetik und der Anstrengung, die dahinter steckt, kann nur erzeugt werden durch eine gewisse Akribie, die beide stetig einhalten. Das Maß an aufgewendeter Energie spielt dabei eine große Rolle.

Man kann die Arbeiten der beiden wunderbaren Künstlerinnen getrennt voneinander und in einem anderen Kontext sicherlich auch unter anderen Gesichtspunkten beschreiben und Ihnen andere Inhalte zuschreiben. Allerdings zeigen die beiden eindrucksvoll, wie man sich zusammen auf so kleinem Raum homogen und doch zugleich pointiert präsentiert.

Ein Battle also im positiven Sinne.

Ihre Arbeitsweise ließe sich also so beschreiben: Step by step.

An dieser Stelle lasse ich mal eine kleine Pause, für diejenigen, die sich bei dieser Zeile auch an ein Lied einer Boyband aus den 80ern erinnern. Damit ich nicht die einzige bin, die den ganzen Abend mit einem Ohrwurm herumläuft.

Im besten Fall fällt Ihnen das Lied einer Sängerin aus den 90ern ein.

Step by step. Schritt für Schritt zum Ergebnis ohne zu weit vorauszuschauen. Im Hier und Jetzt agieren und reagieren. Eine geistige Übung, die Marc Aurel mit „die gegenwärtige Zeit begrenzen“ beschreibt. Das meint, den Fokus von Vergangenheit und Zukunft abzuwenden um ihn auf das zu lenken, was man im Augenblick zu tun im Begriff ist. Denn nach dieser Lehre genügt allein die Gegenwart zu unserem Glück. Sie ist das Einzige, was uns gehört und das von uns abhängt. Es ist eine Lehre, deren Philosophie nicht darin besteht, ein System zu konstruieren, sondern in einer bestimmten Art, die Welt zu betrachten.

Und damit ist sie der Kunst sehr nahe.

Und vielleicht haben es mir deshalb gerade die kleinen Schatten auf den Aquarellpapieren von Angelika mit Ihrem winzigen Hinweis auf eine unperfekte Wirklichkeit oder Susannes kleine neuere Arbeiten im Nebenraum, die angenehme kleine Pausen enthalten, so angetan. Ich weiß es nicht. Bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.

Die Antwort auf die Frage „Bleibt uns Zeit zur Eile?“ möchte ich daher mit den Worten Wolfgang Neuss geben: „Der Tag ist 24 Stunden lang, aber unterschiedlich breit.“